Kai Magnus Sting | 27.10.2018 |
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Sonst noch was?! |
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Mainzer Allgemeine Zeitung vom 30.10.2019 |
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Ohne Tiefsinn, aber lustig |
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BODENHEIM - „Dass sie da sind, ist auch nicht selbstverständlich“, ruft Kai Magnus Sting in den Kulturkeller des Bürgerhauses Dolles in Bodenheim. Die Kulturfrauen hatten eingeladen, der Kabarettist aus dem Ruhrpott folgte bereits zum dritten Mal. Und natürlich sind die Sitzreihen des „neoklassizistischen, rokoko-gleichen Nobelbaus“ gefüllt. Doch der 40-Jährige meinte es anders, ein bloßes Dankeschön wäre ihm zu simpel. „Man kommt ja kaum noch durch“, bemerkte Sting. Die Straßen sind voll, Bahnfahrten oft reichlich kompliziert. Die Zukunft liege vielleicht darin, dass man sich samstagabends auf die Couch setzt, seinen „iPad-Pott“ anmacht und sich digital unterhalten lässt. Dann gibt es auch keine Staus mehr. Sting war halb so alt wie heute, als er seine erste CD herausbrachte. Schon mit 16 hatte er eine eigene Radio-Kabarettsendung, war später Zeitungskolumnist, machte Kriminalhörspiele, fand auch den Sprung auf die kleineren TV-Bühnen, schrieb Theaterstücke. Ein Profi durch und durch, der weiß, welche Knöpfe er drücken muss. Der es versteht, eine Bahnreise von München („in aller Herrgottsfrüh, die gibt es da ja noch“) nach Bremerhaven als absurd-witzige Alltagsglosse aufzubereiten. Der den Nerv seines Publikums trifft, wenn er zeitgenössische und frühere Ernährungsgewohnheiten über Kreuz legt. Was ehedem als klare Brühe daher kam, sei heute „Essenz“. „Beim Scheiblettenkäse habe ich früher die Zellophan-Verpackung mitgegessen, weil es geschmacklich keinen Unterschied gemacht hat.“ Früher war alles besser? Nein, sicher nicht. Doch Sting weiß, wo er sein Publikum abholen kann. Ein Dorf in der Eifel, 150 Einwohner, zwei Nachnamen. „Da hat das Wort Kreisverkehr eine ganz andere Bedeutung!“ Er erfindet das humoristische Rad nicht neu, und auch einen roten Faden sucht man vergebens. „Ein 40-jähriger, leicht dicklicher Mann sitzt am Tisch und liest vom Blatt, mehr passiert hier nicht“, lautet seine Durchsage zwischendrin. Doch, das tut es. Im Hochtempo-Plauderton, immer wieder gefühlt am Rand zum verbalen Tobsuchtsanfall, aber doch stets mit einem (selbst-)ironischen Grinsen im Gesicht, arbeitet sich Sting durch eine Fülle trefflich beobachteter Alltagssituationen. Und er bezieht das Publikum mit ein. Wie heißt das Brötchen mit Negerküssen („das darf man ja heute nicht mehr sagen“, er tut’s trotzdem oder gerade deshalb) hier in der Region? „Gedatschter“, kommt aus den Zuschauerreihen – von Sting immer wieder liebevoll mit ganz lang gezogenem Umlaut am Ende wiederholt. „Gedatschtääääää“! Seine Schilderung eines Familienbesuchs im Restaurant wirkt wie Loriot im Teilchenbeschleuniger, angereichert mit Kalauern der Sorte „Ich hätte gern Pizza Vier Jahreszeiten, ohne Herbst“. Tiefsinniger als die Frage „Warum schält man Pellen und pellt man Schalen?“ wird es nicht, aber das muss es ja auch nicht. Eine Reihe Ratschläge rundet den Abend ab. „Sprechen Sie ihren Orangensaft leise an – ist konzentriert.“ Oder man setzt sich mal samstags in den Beichtstuhl, und wenn der Pfaffe kommt, fragt man: „Na, erzählen Sie mal!“ Beim Applaus nach zwei Stunden Nettospielzeit ruft Sting: „Sie haben ja vollkommen recht.“ Wohl dem, der nicht zu Hause auf der Couch sitzen geblieben ist. |
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